Soziale und ökologische Kriterien sollen die Finanzwelt nachhaltig machen – aber es fehlt an einheitlichen Standards.
(Link to original article can be found here: https://www.derstandard.at/story/2000138710849/nachhaltige-geldanlage-chance-oder-greenwashing)
In den letzten zehn Jahren ist die Nachfrage von Anlegern nach umweltbewussten und sozialen Geldanlagen enorm gestiegen. Zusammenfassen lassen sie sich unter dem Begriff ESG-Investments. ESG ist die englische Abkürzung für Environmental, Social, Governance. Unter dem Begriff werden von der Finanzbranche Investmentprodukte angeboten, bei denen Kriterien wie Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung stärker berücksichtigt werden sollen. Nachhaltige Geldanlagen sind von Anlegern heiß begehrt.
Experten bemängeln jedoch schon lange, dass dieser Markt zu schwach reguliert ist. Klare Definitionen und einheitliche Vorschriften fehlen. Das führe oftmals zu sogenanntem Greenwashing. Das betrifft auch den Kampf gegen den Klimawandel. Experten schätzen, dass in den nächsten 30 Jahren durchschnittlich 3,5 Billionen Dollar jährlich in saubere Energiequellen investiert werden müssen. Diese Billionen sind jedoch nicht dieselben Billionen, die derzeit in Vermögenswerte investiert werden, die nach vielen Formen des ESG-Investing verwaltet werden.
Profite für Verwalter
Die grüne Welle der Nachhaltigkeit ist eine sehr profitable Anlagestrategie für viele Investmentfonds und Vermögensverwalter. "Guten Gewissens in die Nachhaltigkeit investieren und dabei auch noch einen Profit machen" lautet das Motto. Anleger können ihr Geld etwa nachhaltigen Fonds anvertrauen, die Geld von Investoren sammeln und es in die Aktien vieler Firmen stecken.
Bisher fehlt jedoch eine strenge, globale Regulierung. Die meisten ESG-Fonds basieren auf der Bewertung einer Handvoll internationaler Ratingagenturen. Je nachdem, welche Agentur eine Bewertung abgibt, unterscheiden sich die Einschätzungen oftmals deutlich.
Experten vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) zeigten auf: Mehr als 40 Prozent der Ratings waren unterschiedlich, weil zur Bewertung verschiedene ESG-Indikatoren ausgewählt wurden. 50 Prozent ließen sich auf Messunterschiede zurückführen. Die Folge: Unternehmen, die fossile Brennstoffe herstellen, können bessere ESG-Ratings haben als ein Elektrofahrzeughersteller wie Tesla.
Geringe Wirkung
Der andere Knackpunkt ist die Tatsache, dass die Wirkung vieler als grün beworbener Finanzprodukte eigentlich sehr gering ist. Auf investierte grüne Finanzen im Aktienbereich haben jegliche ESG-Richtlinien ohnehin keinen Einfluss. Viele der bekanntesten ESG-Fonds bestehen aus ETF-Produkten, also Indexfonds, die stur Aktienindizes folgen und über deren Zusammensetzung deshalb kaum direkte Kontrolle herrscht.
Der Boom bei ESG-Investitionen erweckt den Eindruck, dass die Billionen Dollar, die zur Finanzierung einer nachhaltigen und grünen Wirtschaft benötigt werden, bereits auf dem Weg sind, sagen Kritiker. Gleichzeitig verringert dieser Irrglaube wahrscheinlich den Druck für Maßnahmen, die wirklich notwendig sind, um einen ökologischen Kollaps abzuwenden: etwa die Einführung einer CO2-Steuer oder massive öffentlich-private Partnerschaften.
Erste Schritte
Die unbequeme Realität bleibt, dass das kritische Klimaziel von 1,5 Grad Celsius nur erreicht werden kann, wenn der weltweite CO2-Ausstoß drastisch verringert wird. Dafür braucht es große Investitionen, wodurch Finanzmärkte in den Vordergrund treten. Die Maßnahmen der EU, grüne Siegel für Finanzprodukte und mehr Transparenz in Hinblick auf soziale und ökologische Themen zu schaffen, sind ein guter erster Schritt.
Wovon die Finanzmärkte jedoch noch kaum sprechen: den Investitionen, die in den nächsten zehn Jahren in die emissionsintensive Aluminium-, Chemie- und Stahlindustrie, in die Schiff- und Luftfahrt oder den Lkw-Verkehr fließen müssen. Gemeinsam verursachen diese Branchen mehr als ein Drittel der weltweiten CO2-Emissionen. Die Klimafinanzierung könnte saubere Technologien in diesen Bereichen marktfähig machen. Wenn eine ausreichende Anzahl globaler Unternehmen in diesem Jahrzehnt einen bestimmten Anteil ihres Geldes in grüne Technologien investieren würde, wäre das ein Wendepunkt: Saubere Technologien würden schneller erschwinglich und industrielle Wertschöpfungsketten langfristig CO2-neutral werden.
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